Spessart by Wolfgang Häcker
Der Marshmellowman
 
 
 
 

Es war ein ganz normales Sylvester. Lustige Party mit guten Freunden, Gleichgesinnten. Allen gemeinsam war vor allem die Freude an besonderem Feuerwerk. Alkoholische Getränke waren auch sehr beliebt.

Mit einer "Napoleon" Kanone wurde jede Stunde das Zeitzeichen für den ganzen Ort gesendet. Es handelte sich um einen käuflichen Bausatz, der mit Schwarzpulver zum Salutschießen geeignet ist. Der Lauf ist ca. 40cm lang und in die Mündung kann man einen Finger reinstecken, = ca. 2 cm. 

Das Ding macht einen höllischen Krach und sieht gut aus. Der Feuerstrahl vorne raus und die Qualm wolke sind beeindruckend!

Als es auf den Jahreswechsel zuging, lud Brother die Kanone für den gewaltigsten Schuß aller Zeiten. Er meinte es halt gut. Beim Bereitlegen einer guten Handvoll Schwarzpulver , wies ich ihn noch darauf hin, daß dies doch wohl viel zu viel wäre. 

Seine Antwort war: " Viel hilft viel!", und damit war alles zu diesem Thema gesagt.

Passieren kann dadurch nichts. Das Pulver verbrennt mit einer gewissen Geschwindigkeit, und wenn es zuviel ist, reicht die Zeit zum verbrennen, im Rohr halt nicht aus, und es wird mit heraus geschossen

Während Brother mit dem Ladestab auf das bereits eingefüllte Pulver Konfetti, Luftschlangen und Servierten draufstopfte, kam Dicki des Weges und reichte ihm einen Marshmellow mit den Worten: "hier, das dämmt gut!". "Gute Idee" und rein damit. Das Teil war auch wie gemacht für diese, nicht seiner Bestimmung entsprechenden, Aufgabe. Es paßte ganz genau in die Mündung und wurde von Brother mit dem Ladestab optimal verdichtet und verdämmt .

Da nicht jeder weis, was Marshmellows sind, hier eine kurze Erläuterung: 

Sie gehören zu den Süßwaren , von der Konsistenz ähnlich Schaumgummi und bestehen aus Zucker. Bei den Amis erfreuen sie sich erheblicher Beliebtheit, die grillen die Dinger sogar. Im Film Ghost Busters taucht der Marshmellowman auf. Es ist eine Werbefigur für das Produkt.

Kurz vor Zwölf geht es hinaus auf die Straße - gleich ist es soweit. Die Kanone wird mitten auf der Fahrbahn positioniert, in Richtung Ortschaft, damit der Schall besser wirkt. Wir standen auf der einen Straßenseite. Brother zündete die Lunte, allerdings auf der uns abgewandten Seite, und huschte vor der Kanone vorbei um zu uns herüber zu kommen. Dies war natürlich grob fahrlässig, genau genommen: dämlich! 

Jeder weis es, jeder macht es, man hält sich nur seitlich des Schußapparates auf, und zum Seitenwechsel geht man nur hinten vorbei.

Die Lunte brannte unerwartet schnell ab. Den Schuß selbst konnte ich nicht sehen. Im entscheidenden Moment schaute ich gerade woanders hin, da ja vermeintlich noch Zeit war. Nur im Augenwinkel sah ich Brother bei einer artistischen Einlage. Er riß das linke Bein hoch und landete auf dem Rücken, stand aber gleich wieder auf und humpelte herüber. Wir dachten er wäre ausgerutscht. Er murmelte etwas unverständliches und zündete die Feuerwerkskörper, die in den tiefen Taschen seines Parkas verstaut waren nach und nach ab. Als alles verfeuert war, drehte er sich um und sagte zu mir:" Mir steht die Brühe im Schuh", ging zum Auto und holte den Verbandkasten. Jetzt war uns erst klar, daß etwas ernstes passiert sein mußte: Brother holt den Verbandskasten! 

Im Partyraum, bei ordentlichem Licht, beäugten wir den Schaden: 

Die Motorradlederhose hatte hinten am Oberschenkel ein größeres Loch. Hose runter - auch die lange, dicke Unterhose hatte ein solches Loch, Blut war zu sehen. 

Nach dem herunterziehen der Unterhose kam ein kreisrundes, 5 DM Stück großes Loch im Oberschenkel zum Vorschein, mit den typischen schwarzen Schmauchrändern.

Kurze Beratung unter Profis, Resümee: Das ist zu groß zum zubinden und weiterfeiern. Du mußt ins Krankenhaus . Aber wir müssen uns erst eine Geschichte ausdenken, bei Schussverletzungen wird immer die Polizei verständigt. Oh, ein ernstes Problem! Da kam die rettende Idee:" Du erzählst, es sei eine Rakete dagegen geflogen." OK, geht klar.

Im Krankenhaus wurde die Wunde sofort als Schussverletzung erkannt, aber die Größe verwunderte sehr. Ein solches Kaliber hatten sie dort noch nicht gesehen. Die Geschichte mit der Rakete stieß auf Mißtrauen, aber schauen wir mal was drin ist. Es war ja nur ein Einschuß, kein Austritt auf der anderen Seite. Das Geschoss musste ja noch drinnen sein.

Das verbrannte Fleisch wurde weggeschnitten. Narkose war nicht möglich, da der Patient Alkohol getrunken hatte, au weia, Autsch! 

In der Tiefe des Oberschenkels fand man dann gewisse Mengen unverbranntes Schwarzpulver und viele Papierreste, was mit einem Raketentreffer in Einklang zu bringen war. Die Krönung war dann, als der Doktor ein plastikähnliches Teil herausholte: "Da haben wir ja die Raketenspitze!". Alles klar, es war wirklich ein Raketentreffer und keine Schussverletzung. Keine Polizei, puuh...

Die Raketenspitze war der Rest des Marschmellows. Unter der Hitze und dem Druck war der Zucker karamellisiert , quasi zum Bonbon geworden.

Dies hat sicherlich noch Niemand auf der Welt geschafft, sich einen Marschmellow ins Bein zu schießen!

Als die Ärzte fertig waren, war das Loch ca. Handteller groß. Brother mußte 2 Wochen im Krankenhaus bleiben und dokumentierte den Heilungsfortschritt durch tägliche Fotografien die er auch heute noch gerne jedem Interessierten zeigt.

Brother ist nicht mein Bruder, ( der ist der kleine Zombie ), sonder ein richtig guter Kerl, zu allen (die er mag) wie ein Bruder, deshalb der Spitzname.
 
 

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